5.2 Schwänke lesen und erzählen
Die Schildbürger
Zu den bekanntesten Schwanksammlungen gehören neben Till Eulenspiegel auch die Erzählungen über die Schildbürger und ihre sprichwörtlich gewordenen Streiche.
Die Schildbürger wohnten in Schilda und wurden damit bekannt, dass sie ihre einstige Klugheit erfolgreich durch Narrheit ersetzten. Mit den Schildbürgerstreichen werden gesellschaftliche Missstände aufs Korn genommen.
Die Schildbürger und der Maulwurf (überarbeitete Fassung)
An einem schönen Herbsttag ging ein Schildbürger über seine große Wiese und stellte mit Entsetzen fest, dass sie gar nicht mehr saftig grün, sondern beinahe schon ganz dunkelbraun aussah. Überall waren unschöne große Erdhaufen aufgeworfen. Er zählte beinahe hundert. Natürlich konnte der Verursacher dieses Desasters nur der Maulwurf sein.
Also beschloss der Schildbürger, den Maulwurf zu fangen. Ganz still stellte er sich mit einem Spaten an den Rand seiner Wiese und beobachtete sie. Plötzlich sah er, wie sich ein Erdhaufen bewegte. Schnell schlich er an die Stelle und stach mit seinem Spaten in die weiche Erde. Er hob sie heraus und siehe, da lag auch der Maulwurf. Bevor sich der verstörte kleine Geselle wieder davonmachen konnte, packte er ihn in sein Taschentuch, lief auf den Marktplatz und rief die Schildbürger zusammen.
„Seht her, wen ich hier gefangen habe!“, brüllte er in die versammelte Menschenmenge. Das ist der Maulwurf, der meine Wiese so verschandelt hat. Er ist ein Feind unserer Gärten, unserer Kultur. Was wollen wir mit ihm anfangen?“ „Er muss sterben!“ „Töte ihn!“. Wutentbrannt schrien die Schildbürger durcheinander. „Stopp! Nicht so schnell!“, erhob sich eine laute Bassstimme aus der Menge. Ein alter Mann mit langem weißen Bart trat hervor und stellte sich auf den Rand des Marktbrunnens. „Liebe Mitbürger, wollt ihr den Verbrecher wirklich so billig davonkommen lassen? Dieser Maulwurf hat großen Schaden angerichtet und sich an unserem Eigentum vergangen. Er muss grausam bestraft werden. Nur so können wir andere Maulwürfe davon abhalten, ähnliche Verbrechen zu begehen. Lasst uns also ein Zeichen setzen und dem Verbrecher ein grausames Ende bereiten. Lasst uns den Maulwurf lebendig begraben.“
Stille. – Ein paar Sekunden brütende Stille, dann brach der Jubel los „Bravo, bravo, das ist eine gerechte Strafe. Wir wollen ihn lebendig begraben.“ Begeistert stimmten die Schildbürger zu.
So nahm der Bürgermeister von Schilda den Maulwurf und trug ihn, gefolgt von allen Ratsherren und Bürgern, zurück zur Wiese. Unter dem Beifall aller Anwesenden grub der Totengräber ein tiefes Loch, der Bürgermeister warf den Maulwurf hinein und deckte ihn mit Erde zu. In feierlichem Ernst ob ihrer gerechten Tat gingen die Schildbürger zufrieden nach Hause.
1. Erkläre, worin der Witz der Geschichte liegt!
2. Überlege, welcher gesellschaftliche Missstand hier aufs Korn genommen wird!


