6.2 Märchen vergleichen

6.2 Märchen vergleichen

Schneewittchen (1812)
Ein Märchen der Brüder Grimm

Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: Hätt' ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen! Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum Schneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:

„Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?"

so antwortete der Spiegel:

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land."

6.2.1 Die böse Stiefmutter

Da war sie zufrieden, denn sie wusste, dass der Spiegel die Wahrheit sagte. Schneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön, wie der klare Tag und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte:

„Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?"

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr."

so antwortete er:

[…]

1. Kennst du das Märchen von Schneewittchen? Erzähle es!

2. Eine weitere Fassung des Märchens ist 1847 im Deutschen Märchenbuch von Ludwig Bechstein unter dem Titel „Schneeweißchen“ erschienen. Lies den Anfang dieser Märchenfassung und vergleiche ihn mit der Grimm'schen Version!!

Schneeweißchen
Ludwig Bechstein, Deutsches Märchenbuch, 1847

Es war einmal eine Königin, die hatte keine Kinder und wünschte sich eins, weil sie so ganz einsam war. Da sie nun eines Tages an einer Stickerei saß, und den Rahmen von schwarzem Ebenholz betrachtete, während es schneite und Schneeflocken vom Himmel fielen, war sie in so tiefen Gedanken, dass sie sich heftig in den Finger stach, so dass drei Blutstropfen auf den weißen Schnee fielen; und da musste sie wieder daran denken, dass sie kein Kind hatte. „Ach!" seufzte die Königin, "hätte ich doch ein Kind, so rot wie Blut, so weiß wie Schnee, so schwarz wie Ebenholz!"

Und nach einer Zeit bekam diese Königin ein Kind, ein Mägdlein. Das war so weiß wie Schnee an seinem Leibe, und seine Wangen blühten wie blutrote Röselein, und seine Haare waren so schwarz wie Ebenholz. Die Königin freute sich, nannte das Kind Schneeweißchen, und bald darauf starb sie. Da der König nun ein Wittwer geworden war und kein Wittwer bleiben wollte, so nahm er sich eine andere Gemahlin, das war ein stattliches Weib voll hoher Schönheit, aber auch voll unsäglichen Stolzes, und auch so eitel, dass sie sich für die schönste Frau in der ganzen Welt hielt. Dazu war sie zumal durch einen Zauberspiegel verleitet, der sagte ihr immer, wenn sie hineinsah und fragte:

6.2.2 Schneewittchen bei den Zwergen

„Spieglein, Spieglein an der Wand
Wer ist die Schönste im ganzen Land?"

„Ihr, Frau Königin, seid die Schönste im Land."

Und der Spiegel schmeichelte doch nicht, sondern sagte die Wahrheit, wie jeder Spiegel.

Das kleine Schneeweißchen, der Königin Stieftochter, wuchs heran und wurde die schönste Prinzessin, die es nur geben konnte, und wurde noch viel schöner, wie die schöne Königin. Diese fragte, als das Schneeweißchen sieben Jahre alt war, einmal wieder ihren treuen Spiegel:

„Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?“

aber da antwortete der Spiegel nicht wie sonst, sondern er antwortete:

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneeweißchen ist tausendmal schöner als Ihr.“

3. Welche Variante gefällt dir besser? Begründe deine Meinung.

4. Erstelle eine Liste der Unterschiede der beiden Märchenfassungen nach den Kriterien der Erzählweise und der Beschreibung der Figuren.