Und noch ein Schwank
Das springende Haus
Ein Schwank, der Erzählung eines unbekannten Autoren nachempfunden.
Es geschah vor vielen Jahren, in einer Zeit, in der sich Schüler und Studenten noch auf Wanderschaft begaben und den Bürgern so manchen Streich spielten, an einem sonnigen Sonntagvormittag in der Nähe des Dorfes Ruhpolding im Bayerischen. Die Bauern der Umgebung saßen zum wohlverdienten Frühschoppen vor dem Wirtshaus draußen an der Landstraße. Bierselig palaverten sie über alle möglichen und unmöglichen Dinge, die sie so bewegten.
Da näherte sich, pfeifend, mit beschwingtem Schritt, sein Bündel lässig über die Schulter geworfen, ein junger Mensch, den sie unschwer als fahrenden Studenten erkannten. Er gesellte sich zu den Bauern und bestellte eine Maß Bier. Der Wirt brachte ihm das Verlangte und fragte, wo er denn herkomme und welche Neuigkeiten er mitbrächte.
„Jetzt komme ich geradewegs aus Ruhpolding. Aber ich bin seit drei Jahren unterwegs und habe soviel gesehen und erlebet, dass ich eine Woche lang darüber erzählen könnte“, antwortete der Student. „Drei Jahre. Das ist wirklich eine lange Zeit. Wie habt ihr euch denn so lange durchschlagen können?“, fragte neugierig der Wirt und auch die Bauern spitzten ihre Ohren, begierig nichts zu verpassen. „Das war nicht schwer, beherrsche ich doch allerlei Gaukeleien und Künste, mit denen ich sogar Könige und Fürsten erfreuen konnte“, erklärte der junge Wandersmann. „Er soll uns ein Beispiel geben. Er soll uns etwas von seinen Künsten vorführen“, riefen die Bauern durcheinander. „Ach nein, heute ist mein Ruhetag“ verwehrte sich knasternd der listige Geselle und stachelte damit die Neugier noch mehr an.
„Nun gut, wohl an denn! Wenn ihr euch auf eine Wette einlassen wollet, bin ich bereit, euch eines meiner Künste vorzuführen“, gab er schließlich scheinbar widerwillig nach. „Wie lautet die Wette?“, fragten in höchlich freudiger Erwartung die Bauern. „Nun denn, höret zu: Ich kann höher springen als euer Wirtshaus hier“. „Kokolores“, ereiferte sich der Wirt. „Das Haus ist zwölf Klafter hoch. Das ist unmöglich“ „Ich springe höher“, insistierte der Student. „Wenn ihr das wirklich schaffet, so soll das Haus euch gehören“, versprach der Wirt. „Gelingt es euch aber nicht, zahlet ihr die Zeche eines jeden Anwesenden zusätzlich zu einer Maß Bier für jeden. Das wäre dann für fünf Silbergulden wohlfeil. Wollt ihr auf diese Wette eingehen?“ „Die Wette gilt.“, schlug der Student in die ausgestreckte Hand des Wirtes ein, stand auf und machte sich zum Sprung bereit.
Keinen der Bauern hielt es auf seinem Platz. Alle standen sie auf und bildeten einen Kreis um ihn herum. „Platz da“, brüllte der Student, nahm einen großen Anlauf und sprang etwa eine Elle von der Erde in die Höhe. Brüllendes, schenkelklopfendes Gelächter der Bauern war sein Lohn. Selbst die Sonne zog sich verschämt hinter einer Wolke zurück. „Die Wette hat er aber haushoch verloren“, brachte der Wirt schließlich zwischen Lachsalven hervor. Ernst und siegesgewiss antwortete der Schelm: „Mitnichten! Ich bin gesprungen. Jetzt lasset euer Haus springen. Dann werden wir sehen, wer höher springt.“ Dem Wirt blieb das Lachen im Halse stecken. Grimmbebend schrie er: „So eine bodenlose Unverschämtheit, so ein gemeiner Betrug. So habe ich das nicht gemeint“. „Was ihr gemeint habt, ist mir herzlich egal. Ich habe es so gemeint und wenn euer Haus nicht gleich springt, gehört es mir.“

1. Sicher hast du im Text die Ausdrücke und Redewendungen entdeckt, die sich von unserem heutigen Deutsch unterscheiden. Erkläre mit eigenen Worten die kursiv gesetzten altertümlichen Wörter!
2. Wo ist die Pointe der Geschichte? Erkläre, worin der Witz liegt!
3. Überlege, wie der Streit zwischen dem Wirt und dem Studenten gütlich beigelegt werden könnte! Mit welcher Lösung könnten beide zufrieden sein. Bedenke, der Student reist seit drei Jahren heimatlos durch die Welt und der Wirt ist an vielen Gästen interessiert. Schreibe ein mögliches Ende der Geschichte.

