1.3 Geschichten über Freundschaft
Unsere neue Mitschülerin
Ich heiße Lisa und gehe in die 5. Klasse des Humboldt-Gymnasiums. Meine Lieblingsfächer sind Deutsch und Sport. Ich habe langes blondes Haar, das ich außer beim Sport gerne offen trage und ich fühle mich in Jeans am wohlsten. Meine Eltern sind Grundschullehrer.
Gerade hat die Schulglocke geläutet, die Pause ist zu Ende. Wir haben jetzt zwei Stunden Mathe bei Herrn Kreisler. In meiner Klasse angekommen, hole ich das Mathebuch aus der Tasche und wünsche mir sehnlichst, dass ich während der nächsten zwei Stunden nicht an die Tafel muss.
Plötzlich verstummt das Stimmengewirr meiner Mitschüler um mich herum. Herr Kreisler hat die Klasse betreten. Aber diesmal ist er nicht allein. Neben ihm betritt ein besonderes Mädchen die Klasse. Ihre krausen Haare sind weißblond und sie ist unglaublich blass. Ihre hellblauen Augen haben einen rosa Schimmer. Ein Mädchen mit Albinismus, über diese Pigmentstörung der Haut haben wir neulich noch im Bio-Unterricht gesprochen. Sie ist so hübsch, so anders, irgendwie mag ich sie sofort. Da höre ich Carla mit ihren Nachbarinnen tuscheln und kichern. An ihren Blicken erkenne ich, worüber sie sich lustig machen. Ich bin wütend und schäme mich für sie, bleibe aber stumm, denn Carla ist mit ihren langen schwarzen Locken, den Markenklamotten und ihrem trotzigen Verhalten den Lehrern gegenüber das beliebteste Mädchen in unserer Klasse. Sie ist 11 Jahre alt, blitzgescheit und ohne Mühe Klassenbeste.
„Ruhe bitte“, sagt Herr Kreisler und stellt uns seine Begleiterin vor: „Das ist Rahel. Sie ist elf Jahre alt und ist mit ihren Eltern zu uns nach Köln gezogen. Ab jetzt wird sie in eure Klasse gehen.“ Und mit einem Blick in Carlas Richtung fügt er hinzu: „Seid bitte nett zu ihr.“ Der restliche Unterricht verläuft wie gewohnt, mit dem Unterschied, dass Rahel jetzt in unserer Klasse ist.
Am Nachmittag sitze ich, in ein spannendes Buch vertieft, auf meinen Lieblingsplatz unter dem großen Apfelbaum im Garten, als ich plötzlich meinen Namen höre. Rahel steht am Gartenzaun. „Du bist doch Lisa aus meiner neuen Klasse. Wohnst du hier?“, fragt sie. „Ja“, antworte ich. „Und du? Wo kommst du her?“ „Aus Daressalam in Tansania. Meine Mutter kommt aus Deutschland und mein Vater ist ein Afrikaner. Er ist Deutschlehrer und unterrichtet jetzt Deutsch für Ausländer. Seit einer Woche leben wir hier in Köln und zwar dort in dem grünen Haus schräg gegenüber.“ „Super, dann haben wir ja denselben Schulweg und können mittags gemeinsam etwas unternehmen. Wollen wir Freundinnen werden?“ Rahel sagt nicht nein und so verbringen wir den restlichen Nachmittag gemeinsam. „Das war ein toller Tag heute. Gut das Rahel da ist“, ist mein letzter Gedanke vorm Einschlafen.
Am nächsten Morgen gehen wir gemeinsam zur Schule. Auf dem Schulhof begegnen wir Carla und ihrer Clique. Grinsend drängen sie sich zwischen uns. Wie versteinert stehe ich außerhalb des Kreises und versuche, nicht zu sehen und zu hören wie Carlas schnippische Fragen auf Rahel niederprasseln. Plötzlich schreit diese: „Nein, nein, nein! Lisa ist meine Freundin!“ Carla und die Mädchen drehen sich zu mir um und drohend fragt mich Carla: „Stimmt das, Lisa!“ Schockstarre. „Nein, aber …“, höre ich mich sagen. Doch Carla lässt mich nicht ausreden. Laut lachend dreht sie sich zu Rahel um. Mit einem letzten fassungslosen Blick in mein sicherlich schamrotes Gesicht, rennt Rahel in die Schule.
Und ich renne hinterher. „Warte“, brülle ich. Endlich bleibt sie stehen und schaut mir entgegen. „Es tut mir so leid. Ich wollte das nicht sagen“, keuche ich noch völlig außer Atem. „Aber ich mache es wieder gut. Versprochen. Am Samstag feiere ich meinen elften Geburtstag und du bist ganz herzlich eingeladen. Wirst du kommen?“ „Mal sehen“, antwortet sie ernst. In den nächsten zwei Tagen geht sie mir aus dem Weg.
Dann ist es endlich Samstag. Ab 15:00 Uhr treffen die eingeladenen Schulfreundinnen ein. Natürlich ist auch Carla dabei. Ich hatte mich nicht getraut, unsere Klassensprecherin nicht einzuladen. Wir sitzen rund um meinen Geburtstagstisch im Garten und gerade beginnt Carla genüsslich über unsere neue Mitschülerin herzuziehen. Da steht sie plötzlich da. Rahel. Endlich. Sie ist gekommen. Ich springe auf und umarme sie. Dann nehme ich sie an die Hand und verkünde: „Rahel wohnt in dem Haus dort drüben und sie ist meine Freundin. Wem das nicht passt, darf jetzt gehen“.
Damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Wie könnte es weitergehen ?
1. Beschreibe deinen Leseeindruck!
Mir hat gefallen, dass …
Ich habe nicht verstanden, warum …
Ich war überrascht von …
2. Überlege, wie die Geschichte jetzt weitergehen könnte! Vergleiche und diskutiere deine Schlussversion mit deinen Mitschüler/innen!
3. Was weißt du über Lisa, Rahel und Carla? Schreibe jeweils einen Steckbrief!
4. Weshalb macht sich Carla deiner Meinung nach über Rahel lustig? Notiere deine Vermutungen! Erkläre sie!
5. Weshalb antwortet Lisa auf Carlas Frage, ob Rahel ihre Freundin sei, zunächst mit Nein?
Notiere deine Vermutungen! Erkläre sie!
6. Lisa und Rahel werden Freundinnen. Beschreibe, was dir Freundschaft bedeutet.


